Was muss die Schule der Zukunft leisten?

Können wir mit der Bildung von gestern in der Zukunft wirklich noch punkten? Vermutlich nicht. Denn die Herausforderungen unseres Lebens verändern sich stetig.

Das Leben ist ein fortlaufender Prozess des Lernens. Noch nie war die Halbwertszeit von erworbenem Wissen so kurz wie heute. Da stellt sich natürlich die Frage, welche Aufgabe die Schule dann noch zu leisten hat. Wissen vermitteln, das schon in wenigen Jahren veraltet ist? Oder Kompetenzen vermitteln, die irgendwie von Dauer sind? Natürlich gibt es mathematische Formeln, die in zehn Jahren genauso ihre Gültigkeit haben, wie vor 100 Jahren. Aber ein paar Gedanken über die Schule der Zukunft sind sicherlich kein Schaden. Was ist die Aufgabe der Schule der Zukunft?

Viele Stimmen sagen, dass das gegenwärtige Schulsystem keine Zukunft mehr haben wird. Ja, es wird geradezu als „krank“ bezeichnet. Warum ist dies so? Nun, die Schulen vermitteln nicht unbedingt die Fertigkeiten, die jeder einzelne von uns in den nächsten Jahrzehnten benötigen wird. Sie orientieren sich auch nicht unbedingt an dem, was das moderne Berufsleben und die Unternehmen benötigen und voraussetzen. Welches Unternehmen würde in Fortbildungsmaßnahmen seiner Mitarbeiter investieren, die ein Wissen vermitteln, das sich zu 90 Prozent als ziellos erweist? Betrachten wir unsere Schulen als Unternehmen, dann wäre die Insolvenz wohl vorprogrammiert.

Vor allem auch unter dem Gesichtspunkt dynamischer Herausforderungen in der Zukunft müssen wir uns die Frage stellen, wie die Bildung von heute das Leben von morgen meistert. Wir leben mitten in der Umgestaltung unserer Gesellschaft durch die Digitalisierung. Aber welche Antworten hat unser Schulsystem auf diese Dynamik? Welche Aufgabe hat der Mensch überhaupt, wenn es viele Aspekte des Lebens gibt, in denen die Maschine effizienter Arbeitet als der Mensch? Welche Fähigkeiten sind wichtig, damit der Mensch im Wettbewerb mit der Maschine konkurrieren kann?

Die Neuerfindung der Bildung in der Schule der Zukunft

Wir leben doch im Land der Dichter und Denker. Betrachten wir die Zahlen rund um unser Bildungssystem, so sieht das doch eigentlich gar nicht so schlecht aus. Deutschland versteht sich als eine führende Exportnation. Die Jugendarbeitslosigkeit ist moderat und rund 40 Prozent aller Schüler bekommen das Abitur als Schulabschluss. Ja, die deutschen Doktoranden sind auf der ganzen Welt gefragt. Das ist alles wahr und richtig. Und doch etwas kurz gedacht. Denn die Arbeits- und Lebenswelt der Zukunft wird an die kommenden Generationen ganz neue Anforderungen stellen. Welche Kernkompetenzen werden im Jahr 2070 im Vordergrund stehen? Es wird vermutet, dass Kreativität und Soziabilität im Mittelpunkt der Fertigkeiten eines Menschen stehen werden. Hier liegt der große Wettbewerbsvorteil gegenüber Computern und Robotern. Das ist das wichtigste menschliche Kapital. Anders als die Maschine kann der Mensch auch „querdenken“. Er kann Verbindungen zwischen Themen und Ideen herstellen, wie es der Maschine nur schwerlich gelingt. Er kann mit den Mustern des Algorithmus brechen und neue Ideen entwickeln. Als kreativer Einzelkämpfer oder auch in der Teamarbeit. Manchmal wird ein schöpferischer Diskurs zum Pingpong-Spiel zwischen den Menschen. Eine interessante Idee beflügelt die Fantasie der anderen Teilnehmer und am Ende kommen interessante Lösungen für Probleme dabei heraus. Um dieses schöpferische Potenzial zu entfalten genügt es nicht, totes Wissen an der Schule zu lehren. Das heutige Schulsystem ermutigt die Kinder und Jugendlichen kaum dazu, das kreative und soziale Kapital schöpferisch zu nutzen.

Das Ideal von Humboldt

Nicht selten werden deutsche und amerikanische Universitäten miteinander verglichen. Dabei fällt immer wieder auf, dass das Ideal von Humboldt in den Vereinigten Staaten von Amerika viel mehr im Mittelpunkt steht als hierzulande. Dieses Ideal geht auf den gelehrten Wilhelm von Humboldt (1767 bis 1835) zurück. Humboldt setzte den Schwerpunkt, den Charakter, die Individualität und die Autonomie von Schülern zu stärken. Tatsächlich kann es wichtig sein, die Neugierde bei Schülern zu wecken. Herauszufinden, was sie interessiert und fasziniert. Den eigenen Beitrag für die Gesellschaft finden. Und das natürlich ganz individuell.

Doch wie sieht es hierzulande mit dem Ideal von Humboldt aus? Die dort aufgeführten Fähigkeiten erwerben Kinder doch eher abseits vom Lehrplan. Vollgepumpt mit totem Wissen bekommt der Nachwuchs seinen Schulabschluss. Und die guten Noten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie oft überhaupt keine Ahnung von ihren eigenen Stärken haben. Und auch keinen Plan, wie das Leben denn nun weitergehen soll. Auch die Digitalisierung kann hier helfen. Nicht selten kennt sich ein Schüler mit dem Internet viel besser aus als der Lehrer. In der Wirtschaft hat man die Zeichen der Zeit längst erkannt. Viele Schulen und Universitäten haben die Entwicklung bisher eher verschlafen. Hier werden digitale Analphabeten ausgebildet, während der Nachwuchs in China schon längst innovative Start-Ups eröffnet.


Die Schule der Zukunft im Jahre 2050

Wie stellen wir uns die Schule im Jahr 2050 vor? Vermutlich sollte das ein Ort sein, der nicht nur Wissen vermittelt. Hier steht das Individuum mit seinen einzigartigen Potenzialen im Focus. Sie bildet die individuellen Fähigkeiten junger Menschen heraus und hilft ihnen zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten heranzureifen. Sie unterstützt den jungen Menschen darin, die richtigen Entscheidungen für das Leben zu treffen. Entscheidungen für das eigene Wohl, aber auch für die Gesellschaft. Bei der Neuerfindung der Schule der Zukunft könnten die folgenden drei Schwerpunkte im Mittelpunkt stehen:

1. Praxisnahes Lernen

Wissen sollte immer in Zusammenhang mit der Praxis stehen. Wissen mit einem greifbaren Kontext lässt sich leichter merken. Das praktische Lernen verknüpft auf diese Weise mehrere Aspekte miteinander. Kinder erarbeiten dann gemeinsam ihre Themenwelten. Der Schulplan wird zu einem „Mini-Start-up“, in dem die jungen Unternehmer konkret an Themen wie Chemie, Mathematik, Englisch oder Wirtschaft arbeiten. Geschichte kann in Form von Rollenspielen erlebt werden. Das macht Spaß und solches Wissen bleibt auch im Kopf. Auf diese Weise werden die Kreativität und die Soziabilität gestärkt.

2. Eine Reform der Schulfächer

Warum auswendig lernen, was sich jederzeit im Internet finden lässt? Viel interessanter wären Schwerpunkte wie die künstliche Intelligenz. Die Herausforderungen und Gefahren der modernen Informationsgesellschaft kennen lernen und ethisch, wie auch fachlich mit den Chancen und Risiken der modernen Entwicklungen umgehen zu lernen. Vielleicht könnte der Lehrplan auch ein Schulfach namens „Happiness“ enthalten? Glück im Leben ist nicht immer nur ein Zufall. Es gibt verschiedene Strategien, die eigene Lebensqualität zu verbessern. Eine bewusste Lebensführung, Selbstreflexion und Achtsamkeit kann man lernen. Tatsächlich gibt es „Happiness“ in den Niederlanden schon als Schulfach in manchen Schulen. Die Unterrichtsinhalte setzen auf Selbstvertrauen, Fehlertoleranz und Soziabilität. Und so muss es uns auch nicht verwundern, dass Holland im „World Happiness Report“ neben den Ländern Skandinaviens meistens weit vorne liegt. Deutschland erreicht hier übrigens nur Rang 17. Tendenz eher sinkend. Die Kinder in den Niederlanden sind gemäß einer Studie der UN seltener übergewichtig, sie trinken weniger Alkohol und sie geben sich kommunikationsfreudiger im Dialog mit den Eltern. Auch mit der Arbeitslosenquote sieht es in den Niederlanden nicht schlecht aus. Der Obrigkeitsglauben ist geringer, sie sind freie und autonome Persönlichkeiten. Vielleicht hängt das auch mit der „Happiness“ der Niederländer zusammen?

3. Individuelles Lernen

Jedes Kind ist anders. Aber an der Schule muss jedes Kind heute dasselbe lernen. Dieser Ansatz sollte sich bis 2050 erledigt haben. Auch dank der modernen Technik sollte es möglich sein, den Unterricht stärker zu individualisieren. Es ist nicht mehr nötig, Kinder als die „Schwächsten“ oder die „Abgehängten“ zu brandmarken. Das Lernangebot kann ganz individuell nach den Fertigkeiten, den Interessen und der Lerngeschwindigkeit zusammengeschnitten werden. Das Unterrichtsprogramm wird zu einem persönlichen „Skillset“. Offline können die Schüler dann ihre sozialen und kreativen Fähigkeiten in der Musik, der Kunst, dem Theater oder auch dem Sport entfalten. Womöglich werden viele Unterrichtsinhalte in der englischen Sprache angeboten. Ein Trend, der heute schon zu erkennen ist.


Lehrer als Influencer

Lehrer genießen heutzutage kein großes Ansehen: Die Gesellschaft für Konsumforschung hat gemäß einer Umfrage die Lehrer auf Platz neun der angesehensten Berufe wiedergefunden. In anderen Studien erreichen sie nicht einmal die Top 10. Nur das Vertrauen in Versicherungsvertreter, Marketingexperten und Politiker ist noch geringer. Dieses Bild sollte sich bis 2050 ändern. Lehrer stehen dann in Zusammenhang mit praktischen und sozialen Kompetenzen, nicht mehr nur als Vermittler von totem Wissen. Sie werden mehr inspirieren als referieren. Lehrer werden dann die neuen Influencer sein.

Neues entdecken, ein Leben lang

Wir merken schon heute, dass Bildung nicht mit dem Schulabschuss endet. Diese Entwicklung wird sich sicherlich fortsetzen. Bildung ist nicht nur ein Thema für die Kinder, sondern auch für den Erwachsenen. Und dies ein Leben lang. Niemand muss mit dem Start ins Berufsleben auf die Bildungsbremse treten. Die Halbwertszeit für erworbenes Wissen wird immer kürzer. Geschäftsmodelle und Prozesse im Berufsleben verändern sich stetig. Neue Erfahrungen zu sammeln und den eigenen Horizont immer wieder erweitern gehört auch zur Bildung mit dazu. Das eigene Gehirn kann ein Leben lang herausgefordert sein. Wir müssen offen sein für neues. Ob das nun eine neue Musikrichtung ist oder eine neue Sportart oder eine neue Sprache, die wir lernen. Schon heute sind Kinder manchmal kompetenter in der Nutzung neuer Medien als ihre Eltern oder Lehrer. Im Jahre 2050 sollten wir alle auf dem aktuellen Stand der Technik sein.

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  1. Diese Veröffentlichung spricht mir aus dem Herzen . Anfang der 90er habe ich zum Situationsansatz studiert, doch in den öffentlichen Schulen bewegt sich nichts. Ich bin immer wieder erstaunt, dass die Vorstellung einer zukünftigen Schule, die sich auf die Interessen der Kinder ausrichtet, für undenkbar gehalten wird. Lehrer auch in meinem Umfeld können sich eine Schule, die sich am Leben orientiert nicht vorstellen. Noch heute wird der theoretische Unterricht bis ins kleinste durchstrukturiert. Es besteht fast eine panische Angst davor, nicht alles zu konntrollieren. Diese Schule auf das digitale Zeitalter vorzubereiten wird ein hartes Stück Arbeit. Unseren Kindern wäre es zu wünschen. Frage ist nur, ob es auch politisch gewollt ist.
    Bärbel Engels

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